Man kann viele Argumente zusammentragen um am Schluss zu dem Fazit zu kommen: Die Jungfrauengeburt kann es nicht gegeben haben, weil Gott keine Wunder tut. Dann hätte man viel unnötige Arbeit geleistet.
Wunder werden kritisch hinterfragt
Das passiert gar nicht so selten, denn die historisch-kritische Methode nach Ernst Troeltsch untersucht die Bibel nach drei Kriterien, die allesamt auf eine Wunderskepsis herauslaufen. Das erste Kriterium ist, dass alles in Zweifel gezogen werden kann. Das bedeutet in erster Linie, dass auch ein in der Bibel überlieferter Text an sich keine Unfehlbarkeitsgarantie hat, sondern als historischer Text untersucht wird. Abschließend können dann Urteile darüber getroffen werden, wie wahrscheinlich eine Erzählung ist. Dabei schätzt der Interpret ein, wie nah das Beschriebene an unserem Erleben liegt. „Die Analogie des vor unseren Augen Geschehenen und in uns sich Begebenden ist der Schlüssel zur Kritik“.[1] Damit wird eine Gleichartigkeit zu unserem Leben vorausgesetzt, die zwar „den Unterschieden allen möglichen Raum läßt, im Übrigen aber jedesmal einen Kern gemeinsamer Gleichartigkeit voraussetzt, von dem aus die Unterschiede begriffen und nachgefühlt werden können“[2]. Bei der Untersuchung der Texte wird dann darauf geachtet, dass der Text in einem inneren Fluss ist, also dass jedes Element mit dem vorherigen und nachfolgenden ohne Unterbrechung verbunden ist. Auf dieser Grundlage fragt man sich dann, wo noch der Raum für Wunder ist? Es wundert zumindest nicht, dass viele evangelische Theologen zu dem Schluss kamen, dass die Geburtsgeschichte eine erfundene Erzählung ist, die die Sohnschaft Jesu zu Gott erklären sollte.
Nicht nur die Argumente zählen
Ganz entscheidend dafür ist also, ob man selbst sein Leben so wahrnimmt, dass Gott darin Wunder tut oder eben nicht. Ein Wunder versetzt in Staunen, übersteigt unseren Verstand und durchbricht unsere Gewohnheit. Damit entzieht es sich den genannten Kriterien der historisch-kritischen Methode. Über eine sachliche Analyse werden wir nicht endgültig entscheiden können, ob Gott in unserer Welt handelt. Das hängt vor allem von unserem Weltbild ab.
In meinem Weltbild kann Gott Wunder. Ich sehe Gott so, dass er als Erschaffer der Welt auch in sie eingreifen kann. So erlebe ich meine Nachfolge mit ihm. Manchmal passiert etwas unerwartet Gutes, ein „Zufall“, der mich im Herzen berührt und mir zeigt wie Gott mich begleitet. Es ist nicht so, dass alles in Erfüllung geht, um was ich bete. Aber wir reden hier von Wundern – etwas Unkontrollierbares, das überrascht und den Rahmen sprengt, in dem man sich bewegt.
Wozu dient das Wunder?
Jesus heilte einen Gelähmten, und machte damit deutlich, dass er auch Sünden vergeben kann (Mt 9). Er wirkte Wunder, weil Gott damit bestätigte, dass seine Lehre richtig war. Auf die Nachfrage, ob er der Messias sei, antwortet Jesus: „Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird das Evangelium gepredigt“ (Lk 7,22). Durch diese Wunder gab Gott den Menschen das Zeichen, dass Jesus der Messias ist. Indem Gott Jesus aus dem Tod auferweckte, wurde die christliche Hoffnung offenbart: Wer glaubt, der wird über den Tod hinaus leben. Gott wirkt seine Wunder nicht völlig zufällig, sondern wir sehen in der Bibel, dass damit immer etwas beabsichtigt ist. Die Frage ist jetzt also: Wozu hat Gott das Wunder der Jungfrauengeburt gewirkt? Was wollte er damit aufzeigen, und warum war es notwendig? Wenn sich hier ein logischer Zusammenhang ergibt, dann ist es plausibel, dass er eine Jungfrauengeburt gewirkt hat. Dann bekommt das Dogma auch Leben und wird inhaltlich gefüllt und kann vertreten und gelehrt werden – und verstanden.
[1] Troeltsch, Ernst: „Über historische und dogmatische Methode in der Theologie“ [1908]. In: ders.: Zur religiösen Lage, Religionsphilosophie und Ethik. Gesammelte Schriften, Bd. II, Tübingen, Mohr, 1913, S. 729-753
[2] Ebd.,732.