Das Glaubensbekenntnis soll Einheit unter den Christen schaffen. Aber man kann sich herrlich über die Jungfrauengeburt streiten. Warum ist das so?
Überblick
Der Streit dauert schon lange
Schon 1891 empörten sich Theologiestudenten über die Entlassung von Pfarrer Christoph Schrempf, der die Jungfrauengeburt nicht mehr mittragen konnte. Einige Generationen von Theologen später sprach Margot Käsmann als EKD-Ratspräsidentin vom Mythos der Jungfrauengeburt. Nach einer Umfrage von Idea 2016 konnten der Aussage „Ich glaube an die Jungfrauengeburt“ bei den freikirchlichen Protestanten 54% zustimmen, bei den Katholiken 34% und bei den landeskirchlichen Protestanten 27%. Dafür, dass dies durch das Glaubensbekenntnis ein Minimalkonsens sein soll, ist hat diese Position überraschend wenig Anhänger.
Auch in Freikirchen ist man geteilter Meinung
Relativ ausgeglichen ist es noch in den Freikirchen. Auch hier hat sich an dem Thema vor fünf Jahren letzten Jahren in den FeGs eine hitzige Debatte entfacht, die in einem neuen Rekord an Leserbriefen gipfelte. Hier outete sich ein Pastor, dass er nicht mehr an die Jungfrauengeburt als biologisches Ereignis glaube, sondern dies als Glaubensaussage versteht. In den Leserbriefen war die Rückmeldung von Schock, Ärger und Verwunderung. Der Ruf nach Irrlehre und Ausschluss wurde laut. Manch einer sah keine Zukunft mehr für das Gemeindebündnis, es wurde als geistliche Bankrotterklärung verstanden. Es war eine emotionale Erschütterung.
Warum ist die Jungfrauengeburt ein Reizthema?
Aber worin liegt die Brisanz dieser Hinterfragung? In den Leserbriefen wurden neben den emotionalen Reaktionen verschiedene theologische Konflikte deutlich. Einmal geht es um die Bedeutung der Bibel wie man sie auslegt. Es gilt die Abwägung zu finden zwischen Gottes Wort als Erkenntnisgrundlage und der Bibel als Zeugnis von anderen Menschen über Gottes Wirken in einem historischen Dokument. Die Auslegung wird in der FeG als Herausforderung und Aufgabe für die Gemeinschaft gesehen.
Wie bezieht die Theologie Stellung?
In der Theologie allgemein ist in der Auslegung zur Jungfrauengeburt noch immer überraschend viel Bewegung drin. Erst kürzlich konnte aufgrund der Qumranfunde rekonstruiert werden, dass auch im vorchristlichen Judentum göttlich gewirkte Schwangerschaften bei großen Heilsbringern angenommen wurden. Grundsätzlich gilt es auch anzuerkennen, dass sich der Glaube im Laufe der Jahrhunderte schon immer geändert hat, auch wenn wir das oft nicht so wahrnehmen.
Es gibt einige Missverständnisse
In den Leserbriefen wurde auch die Angst geäußert, dass ohne die Jungfrauengeburt Jesus nicht mehr der Sohn Gottes wäre. Doch der Sohn-Gottes Begriff war im Judentum ein Ausdruck dafür, dass der fromme Mensch mit Gott in einer besonders vertrauten Beziehung steht. Dieser Titel war nicht auf Jesus beschränkt. Auch Paulus benutzt den Sohnestitel, wenn er die tiefe Verbindung von Jesus zu Gott hervorheben möchte. Darüber hinaus sind alle Gläubigen in diese Kindschaft hineingerufen, davon darf es also mehr als einen geben. Der Sohnestitel geht also nicht aus der Art der Zeugung hervor. Es soll mit diesem Beispiel deutlich werden, dass viele unscharfe Verknüpfungen zur Jungfrauengeburt existieren. Die Frage, ob Jesus aus einer natürlichen Zeugung hervorging oder in Maria geschaffen wurde, wird auf den ersten Blick in Verbindung gesetzt mit der Auferstehung, mit Jesu Wesen, seiner Göttlichkeit, seinem göttlichen Ursprung, seiner Messianität, der Durchbrechung der Erbsünde, der Fähigkeit zur Vermittlung zwischen Mensch und Gott. Ohne Jungfrauengeburt wird Jesus nur als Mensch gesehen, der nur Religionsphilosoph war, nicht nach dem Tod erhöht werden könnte, nicht anbetungswürdig wäre und uns nicht erlösen könnte. Diese Verknüpfungen gilt es, genau zu untersuchen. In den meisten Fällen gibt es gibt es andere Kausalitäten als die Zeugung ohne menschlichen Vater. Wenn diese Bezüge passender gesetzt werden, wird der Glaube insgesamt stabiler und klarer.
Weshalb die katholische Kirche daran festhält
Auch in der katholischen Theologie, die am Wunder der Jungfrauengeburt festhält, wird das so erkannt. Joseph Ratzinger schrieb vor einiger Zeit: „die Lehre vom Gottsein Jesu würde nicht angetastet, wenn Jesus aus einer normalen menschlichen Ehe hervorgegangen wäre.“[1] Für Ratzinger ist die Jungfrauengeburt als letzte Bastion des Glaubens wichtig, da Gott damit „nicht begrenzt aufs nur Geistige ist, sondern daß er hier und heute, mitten in meiner Welt zu wirken vermag und daß er in ihr gewirkt hat in Jesus“.[2] Mir stellt sich hier die Frage, ob dem christlichen Glauben nicht ein größerer Dienst erwiesen wird, wenn man Gottes Wirken an uns vielmehr so darstellt, wie wir es in der Nachfolge erleben. Gott wirkt Wunder, aber das lässt sich nicht an der Jungfrauengeburt beweisen. Vielmehr schenkt er uns im persönlichen Erfahren Lebensmut, hilft uns das Gute in unserem Leben zu erkennen und verändert unser Denken. Er durchdringt uns mit heiligem Geist. So wie es in der Geburtsgeschichte beschrieben wurde. Gott offenbart sich in der Welt, sein Geist wirkt in Maria.
Wo führt uns das hin?
Dieses Leben in Gottes Gnade und in seinem Geist ist es, auf dem unser Glaube basiert. In der Diskussion um die Jungfrauengeburt geht es auch um die Angst, dass uns Christen die Grundlage entzogen wird. Daher werden rote Linien gezogen, und abgesteckt, was als indiskutable Grundlage gilt. Dabei ist die Jungfrauengeburt meist inbegriffen, da man sich auf das apostolische Glaubensbekenntnis bezieht. Aber wir können unsere Identität als Christen und Gottes Größe nicht aus dem Buchstaben oder der Geschichte ableiten. Gott kann sich im Buchstaben offenbaren, aber dann ist es der Geist, der zur Erkenntnis führt. Und die Geschichte ist ein Teil unserer Identität, aber wir müssen im Heute vor Gott stehen. Das ist es auch, was sowohl bei Befürwortern als auch bei Kritikern der Jungfrauengeburt unterm Strich steht: Im Wunder der Geburt Jesu kommt Gott in unsere Welt, in seiner Gnade durchdringt er Maria und ist von Beginn an mit Jesus verbunden – ohne dass Jesus etwas dafür geleistet hätte. So kommt Gott auch in unser Leben. Er stellt uns in eine tiefe innere Nähe zu Gott, in der wir uns Kind Gottes nennen können.
[1] Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum. Vorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis (München: Kösel 1968), 225.
[2] Ebd., a.a.O., 229.